• Muharrem Cem-Zeremonie

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Die Aleviten, die nach Deutschland kamen, hatten unterschiedliche Motive, ihre Heimat zu verlassen. Die Ersten unter ihnen kamen im Zuge der Anwerbung ausländischer Arbeitnehmer in den Jahren ab 1961 nach Deutschland. Nach dem Septemberputsch Evrens im Jahre 1980 verließen erneut viele Aleviten die Türkei und suchten im Ausland, insbesondere in Deutschland, nach Asyl. Mittlerweile leben seit fünf Jahrzehnten Aleviten in unserer Gesellschaft und genossen lange Zeit nur wenig Beachtung in der deutschen Öffentlichkeit. Wurden die Aleviten anfangs unter „Gastarbeiter", dann unter „Ausländer" und „Türken" subsumiert, treten heute verstärkt die eigenständigen Züge der religiösen und kulturellen alevitischen Traditionen hervor: Nicht wenige sprechen davon, dass das Alevitentum nicht nur klar vom schiitischen und selbstverständlich vom türkisch-sunnitischen Islam zu unterscheiden sei, sondern überhaupt außerhalb des Islams stehe. Dass die eigene Zuordnung und damit das Selbstverständnis der Aleviten selbst nicht einheitlich ist, hängt mit der Geschichte und der Situation der Aleviten in der Türkei zusammen. Die Aleviten gehören zweifellos zu jenen Religionsgemeinschaften, die trotz ihrer Bedeutung unbekannt blieben oder verschwiegen wurden.

Das halbstaatliche türkische „Republikanische Stiftungszentrum für Bildung und Kultur" (türk. CEM Vakfi) hat alevitische Geistliche nach ganz Europa entsendet, um die Aleviten im Trauermonat Muharrem in religiösen Angelegenheiten zu betreuen. Die Alevitische Gemeinde zu Berlin erklärt dazu:

Die Alevitische Gemeinde zu Berlin organisiert mehr als drei Jahrzehnte religiöse Zeremonien ohne die Unterstützung von Geistlichen, die einer staatlichen bzw. halbstaatlichen Organisation gehören. Die Aleviten wurden über Jahrhunderte in die Marginalität und Isolation gedrängt, in der Hoffnung, sie im sunnitischen Islam auflösen zu lassen. Noch heute dauern die Repressalien gegen die Aleviten an. Die Regierung Erdogans weigert sich, Aleviten einen religiösen Status in der Türkei einzuräumen.

Um dem Assimilationsdruck zu widerstehen, sind Aleviten gezwungen, mehr denn je, Geschlossenheit und Einheit zu demonstrieren. Der unermüdliche Kampf der Aleviten um Gleichberechtigung und Gleichbehandlung kann nur dann weiterhin erfolgen, wenn die traditionelle Organisationsstruktur der Aleviten gewahrt wird. Diese untersagt es den Geistlichen im Dienste jener zu stehen, die die Werte und Normen der Aleviten nicht achten und akzeptieren. CEM-Vakfi übernimmt genau diese Aufgabe, deswegen duldet die Alevitische Gemeinde zu Berlin die Prediger dieser Einrichtung nicht in ihren Räumlichkeiten um über jene religiösen Inhalte des Alevitentums wie Unkäuflichkeit, Unbestechlichkeit usw. zu predigen.

Anlässlich der bevorstehenden Muharrem-Fastenzeit (04.11.2013 – 15.11.2013) erklärt die Alevitische Gemeinde zu Berlin:

Die Alevitische Gemeinde stellt die Muharrem-Fastenzeit mit verschiedenen Aktivitäten im Gemeindezentrum in der Waldemarstraße 20 vor. Alle Berlinerinnen und Berliner sind eingeladen unsere Gemeinde in der Fastenzeit täglich von 15 – 19 Uhr zu besuchen.

Hintergrundinformationen zum Muharrem-Fasten, Aschure-Tag und dem Muharrem-Cem

Als Muharrem-Fastenzeit der Aleviten gilt eine Zeit, die entweder nach islamischem Kalender 20 Tage nach dem Opferfest oder zehn Tage später als im Vorjahr beginnt. Aleviten fasten zur Trauerandacht im Monat Muharrem zwölf Tage lang. Die Regeln des Muharrem-Fastens sind sehr umfangreich. Während den zwölf Tagen wird in Erinnerung an Imam Hüseyin getrauert und gefastet. Er wurde in der Wüste von Kerbela (im heutigen Irak) ermordet.

Das Fasten besteht u.a. aus: kein Wasser trinken (Milch, Yoghurt und Früchte sind erlaubt); kein Fleisch essen; auf dem Tischen darf kein Messer und keine Gabel gedeckt werden; es darf kein Blut fließen (=Schlachtverbot); von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang wird nichts gegessen und getrunken; Männer dürfen sich nicht rasieren; es dürfen keine Feierlichkeiten stattfinden; zum Andenken werden Trauerlieder gesungen; in Erinnerung an das Martyrium möglichst viel trauern.

Am 13. Tag wird Asure gegessen. Asure ist eine Süßspeise, die aus zwölf Zutaten (u.a. aus verschiedenen Getreidesorten) zubereitet wird. Hiermit zeigen Aleviten nach der Trauer um das Martyrium Imam Hüseyins ihren Dank, dass Zeynel Abidin, Hüseyins Sohn, das Massaker in Kerbela überlebt hat und so die Reihe der zwölf Imame fortgesetzt werden konnte.

Die Aleviten wurden in den letzten Jahrhunderten unterdrückt und teilweise assimiliert. Deshalb fand zum Teil eine Angleichung an die sunnitische Umgebung statt, so dass entweder die alevitischen Feste nicht mehr gefeiert wurden oder das Datum sich am islamischen Kalender orientierte. Im Zuge des in der Diaspora wachsenden Selbstbewusstseins werden auch solche Fragen diskutiert. Die Aleviten üben und pflegen eine pluralistische Gesellschaftsordnung, in dieser gibt es keine Stelle, die von oben etwas verordnen kann.